Ein Liebesbrief an den Sommer
Es ist einer dieser warmen, goldenen Sommertage in Hamburg. Nach einem langen Tag mache ich Feierabend und schwinge mich auf mein Fahrrad, um nach Hause zu fahren. Die Stadt pulsiert, und während ich durch die Straßen gleite, halte ich an einer roten Ampel. Vor mir eine Frau, die mir sofort auffällt – und nein, es sind nicht ihre kurzen blonden Locken, die geblümte Bluse oder ihr knallgelbes Fahrrad, das fast mit der Sonne um die Wette strahlt. Es ist das kleine weiße Gerät an ihrem rechten Oberarm – sie trägt einen Sensor, genau wie ich. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Ich fasse mir ein Herz und tippe sie an, doch ihre Kopfhörer schirmen sie ab. Also zeige ich auf ihren Sensor, dann auf meinen, und lächle. Als sie meine Geste versteht, lächelt auch sie. In diesem flüchtigen Moment sind wir mehr als nur zwei Fremde auf ihren Rädern – wir sind verbunden, durch ein unsichtbares Band, das uns näher bringt, als es Worte jemals könnten.
Quelle: Pia Eberstein
Ein Liebesbrief
„Lieber Sommer, jedes Jahr, wenn du die Tage länger und die Luft wärmer werden lässt, beginnt für mich eine ganz besondere Zeit in meiner Diabetes-Ära. Du bringst nicht nur die Sonne zurück in mein Leben, sondern auch die Freiheit, meinen Sensor sichtbar zu tragen. Während er im Winter oft unter dicken Pullis verschwindet, ist er bei meinen Sommeroutfits kaum zu übersehen, ganz selbstverständlich und ohne Zurückhaltung.
Wenn ich im Sommer durch die Stadt spaziere, auf einem Festival tanze oder mit der U-Bahn von A nach B fahre, entdecke ich viel häufiger andere Menschen, die ebenfalls einen Sensor tragen. Diese Begegnungen, so flüchtig sie auch sein mögen, berühren mich jedes Mal aufs Neue. Ein kurzer Blick, ein Lächeln, ein Nicken - diese kleinen Gesten schaffen eine stille Verbindung, eine Gemeinschaft, die sonst im Alltag unsichtbar bleibt.
Quelle: Pia Eberstein
In diesen Momenten fühle ich mich weniger allein. Stattdessen fühle ich mich als Teil einer Gruppe, die in ihrem Alltag ähnliche Herausforderungen erlebt und meistert. Du, Sommer, gibst uns die Möglichkeit, diese Gemeinsamkeit zu erleben und einander zu erkennen, auch wenn wir uns nicht kennen. Es ist, als würdest du die Mauern zwischen uns ein wenig durchlässiger machen, sodass wir uns näherkommen und uns verstehen können – oftmals ohne dabei ein Wort zu wechseln.
Und genau das ist es, was ich so an dir schätze, lieber Sommer. Diese wertvollen Begegnungen, die du mir schenkst, sind ein Zeichen dafür, dass wir alle miteinander verbunden sind - durch unsere kleinen, stillen Kämpfe und durch die Kraft, die wir daraus ziehen. Danke, lieber Sommer, dass du mir jedes Jahr diese kostbaren Momente schenkst. Du zeigst mir, dass wir uns gegenseitig unterstützen können, auch in den kleinsten Gesten, und dass es gut ist, sich selbst treu zu bleiben - egal, welchen Weg man geht.
Deine Pia“
Disclaimer:
Jeder Mensch geht anders mit seiner Diagnose um, und das ist vollkommen in Ordnung. Für manche bedeutet die Sichtbarkeit ihres Sensors ein Gefühl von Gemeinschaft und Verbundenheit, während es für andere eher eine private Angelegenheit bleibt. Es ist wichtig, die unterschiedlichen Wege und Präferenzen zu respektieren, wie Menschen den Umgang mit ihren technischen Hilfsmitteln gestalten und was sie damit ausdrücken möchten.