Über Früherkennung, Versorgung und Zukunft

-Inmitten der Covid Pandemie 2021 hatte ich online am DDG-Kongress teilgenommen. Dieses Jahr live dort zu sein und als #dedocvoices hat alle meine Erwartungen übertroffen.

Das Gefühl, welches die Community vermittelt ist, dass man eine(r) von vielen ist. Es bleibt mehr Raum die Vielfalt, die Ressourcen und die Kraft der einzelnen Menschen zu entdecken. Ich habe mich inmitten der Voices mit meinem Diabetes akzeptiert und wichtig gefühlt.

Als Kinder- und Jugendärztin habe ich vorwiegend Vorträge besucht, die sich mit Typ-1-Diabetes und dessen Versorgung befasst haben. Der erste Vortrag, den ich besucht habe „T1D und Leistungssport“ war hervorragend. Von den fünf Speakern hatte die Mehrheit Diabetes. Ein wunderschönes Beispiel von Selbstwirksamkeit. Seit vielen Jahren setzen sich Menschen aus der Diabetes-Community dafür ein, dass unsere Stimme gehört wird!

Quelle: Dr. med. Johanna Weekes

Gelebte Erfahrung ist wertvoll und wird zunehmend anerkannt. #dedoc° gibt Menschen mit Diabetes unter anderem die Möglichkeit, an wissenschaftliche Kongresse teilzunehmen zu denen sie sonst keinen Zutritt hätten.

Hier bilde ich die Ausnahme und habe meinen Eintritt selbst bezahlt. Weil es mir wichtig war meine Stimme und mein Wissen für andere zugänglich zu machen, wollte ich eine #dedocvoice sein.

Besonders interessant fand ich auch den Vortrag zu „T1D Zukunftsvisionen“. Ein akkurates Zitat von Prof. Danne „Insulin ist eine symptomatische Behandlung“ zeigt, wieviel es noch für die Diabetologie zu tun gibt. Er glaubt fest daran, eine Heilung für Typ-1-Diabetes zu erleben. Es gibt vielversprechende neue Medikamente und Ansätze. In den USA ist Tzield (Teplizumab) zugelassen für die Behandlung des Stadium 2 Typ-1-Diabetes. Dies bedeutet, dass noch keine Symptome wie Durst, Gewichtsabnahme oder häufiges Wasserlassen vorhanden sind. Es finden sich aber über 2 Antikörper und erhöhte Blutzuckerwerte. Durch die Gabe des Medikamentes lässt sich die Manifestation - also das Ausbrechen der Symptome - um 2-3 Jahre verzögern.

Sicherlich für jeden Mensch, der mit Diabetes lebt, eine Erleichterung, 3 Jahre ohne Spritzen, ohne Insulin leben zu können. Hierfür werden aber 200 000 USD benötigt und eine Woche stationär (im Krankenhaus) das Medikament über die Vene verabreicht.

Vielversprechend klingt Verapamil, ein Blutdruckmedikament, welcher aktuell in Phase 2 Studien geprüft wird. Das ist eine Tablette und bewirkt bei Mäusen ähnliches, wie Teplizumab.

Quelle: Dr. med. Johanna Weekes

Diabetestechnologien sind gerade bei Kindern und Jugendlichen hoch im Kurs und werden überwiegend genutzt. Über 90% aller unter 18-Jährigen mit Typ-1-Diabetes nutzen ein CGM. Nahezu 60% eine Insulinpumpe, davon inzwischen fast die Hälfte ein automatisiertes Insulindosierungssystem. Gerade diese Systeme bringen Erleichterung, wenn es um die Diabetes-Therapie geht, denn sie verabreichen „automatisch“ Insulin und versuchen, den Zielwert zu wahren. Das bedeutet sie wirken sowohl Hypo- als auch Hyperglykämien entgegen.

Einschränkend ist das Nutzungsalter, denn viele System sind erst ab dem 6. Lebensjahr zugelassen. Sodass für Kleinkinder nur noch aus zwei Systemen gewählt werden kann. Außerdem ist die Interoperabilität von Sensoren und Pumpen noch sehr gering und oftmals ist die Größe des Sensors oder der Pumpe ein Auswahlkriterium bei den jungen Menschen. Wünschenswert wäre die freie Kombination aus beliebigem Sensor und Pumpe.

Trotz dem Einsatz dieser Systeme sehe ich in der Sprechstunde viele Jugendliche, die einen HbA1c-Wert >10% haben. Es fällt ihnen oft schwer, an die nötigen Kohlenhydrateingaben zu denken. AID können aber nur gut funktionieren, wenn sie ausreichend Input von ihrem Anwender erhalten. Dennoch bewirken Sie häufig eine Verbesserung - vor allem nachts. Nachts ohne Alarme durchzuschlafen und morgens mit einem Blutzucker im Zielwert aufwachen, das macht so viel aus.

Diese Müdigkeit und diese scheinbare „Non-Compliance“ also das „sich nicht fügen/fehlende Mitarbeit“ war Thema im Vortag von Frau S. Clever über „Diabetes Distress und hilfreiche Kommunikation“: „Der Mensch ist meist nicht non-compliant, sondern ambivalent“. Es gilt die Gründe für ein bestimmtes Verhalten zu erfragen.

Quelle: Dr. med. Johanna Weekes

In vielen Vorträgen ging es auch um die weiterhin hohe Ketoazidose Rate bei Kindern und Jugendlichen, die sich in Deutschland um die 20% einpendelt. Trotz diverser Aufklärungskampagnen gelingt es bisher nicht, diese zu senken. Früherkennung wird eine immer größere Rolle spielen. Urinuntersuchungen bei den Vorsorgeuntersuchungen haben sich bereits etabliert (Fr1da und Freder1ck). Bei diesen Studien wurde im Rahmen des Stoffwechselscreenings also der Blutentnahme wenige Tage nach der Geburt nach einem genetischen Diabetes Risiko gesucht. Wenn dieses erhöht war, wurden im 2. Schritt die Diabetes Autoantikörper bestimmt. Davon gibt es fünf.

Ab zwei Autoantikörper weiß man, dass das Lebenszeitrisiko, Diabetes zu manifestieren 100% beträgt. Bei der Point-Studie wurde orales Insulin vs. Placebo verabreicht, bei Sint1a Probiotika vs. Placebo. In einer neuere Studie Avant1a wird der Einfluss von viralen Erkrankungen und Impfungen wie z.B. bei Covid 19 untersucht.

Im Stoffwechselscreening sind aktuell schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch ihre Früherkennung frühzeitig und somit vor dem Auftreten von Organschäden behandeln lassen. Ausnahme ist die Mukoviszidose. Hier ergibt sich jedoch ein Nutzen von der Früherkennung.

Sobald es ein Nutzen von der Früherkennung von Diabetes gibt, ist denkbar, dass in Zukunft alle Neugeborenen auch auf Ihr Diabetesrisiko getestet werden. Hierdurch entstehen eine Vielzahl mehr Patienten, die Schulungsbedarf und Betreuungsbedarf haben. Dies wird Diabetologen vor einer Herausforderung stellen. Strukturell und personell gibt es noch viel zu tun.

Letztendlich bleibt Insulin und Technik aktuell die einzige und somit bestmögliche Therapie. Jedoch schreiten sowohl die Technik rasant vorwärts und auch im Bereich der Forschung gibt es durchaus Gründe zuversichtlich in die Zukunft zu schauen.

Der Mensch mit Diabetes als Entität mit vielen Ansprüchen und Ambivalenzen zu sehen sollte das Ziel jedes Diabetologen sein.

Quelle: Dr. med. Johanna Weekes

Es war ein spannender und erlebnisreicher Kongress und mir eine Freude eine #dedocvoices sein zu dürfen. Danke an #dedoc, an alle wunderbaren voices und an die DDG!

Dr. med. Johanna Weekes

Ich bin 33 Jahre alt, Mutter einer fast 3 jährigen Tochter und lebe seit 22 Jahren mit Typ 1 Diabetes. Seit 2020 bin ich Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde und im Mai 2024 habe ich die Zusatzbezeichnung Diabetologie erworben. In der Klinik setze ich mich für bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Versorgung der Patienten ein.

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