Poetry Slam: Kugelschreiberkörper

Du verrenkst dich ein Stück
Vielleicht so?
Nein, dort konntest du es noch erkennen
Den kläglichen Versuch
Dich davon zu trennen
Fast als wäre es unmöglich
Es nicht überall zu sehen
Es zurückzulassen
Und sich wegzudrehen

Der hartnäckige Kleber von
Deinem letzten Pflaster
Einstichstellen im sorgfältigen Raster
Wer Deine blauen Flecke sähe
Würde Dich für ziemlich tollpatschig halten
Denkst Du dir während du hältst
Deine Haut in Falten
Und im Endeffekt
Da wusstest du
Du musstest nur dein Oberteil hinunterziehen
Um all dem zu entfliehen
Hattest es in dieser Hinsicht wahrscheinlich sogar
Besser als andere
Und du meinst das nicht als Vergleich
Du wünschtest
Es wäre für jeden leicht

Stattdessen fragen sie dich
Mit kritischem Blick
„Solltest du das essen?“
Als hättest du das plötzlich vergessen
Und würdest erst ihr Urteil brauchen
Darüber was du dir darfst erlauben
Und du würdest wirklich gerne glauben
Dass es Sorge wäre
Und kein Vorwurf
Wer weiß
Vielleicht ist es wirklich gut gemeint
Aber trotzdem fühlst du dich kurz
Als bräuchtest du eine Rechtfertigung
Nur zum existieren
Dabei ist es schon
Schwer genug
Nicht alles in Gut und Böse einzusortieren

Und manchmal
Da war es
Noch nicht mal das offensichtliche
Nicht die ganzen Kommentare und Sprüche
Nicht fünf sich umdrehende Köpfe
In der Bahn
Oder Kleidung, die nicht passte
Schlucken zu müssen
Wenn jeder über schlechte Witze lachte
Es waren nicht nur
Die Momente
Die zwar schmerzten
Aber vorübergingen
Sondern das Echo
Was du in dir hörst
Nachklingen

Denn sie sprechen über
Liebe und Akzeptanz
Und das ist keinen Grund gibt
Sich zu verstecken
Und das stimmt sicherlich
Du würdest nur gerne
Auch den Teil von dir entdecken
Der nicht schon geprägt ist
Von dem
Was andere Menschen
Von dir denken

Quelle: Huda El Haj Said

Ob es noch eine Version gibt
Von dir
Ohne Kugelschreiberkreise
Auf deinen Oberschenkeln
Die als Kind für dich markierten
Die letzte Spritze
Während deine Freunde
Mit derselben Tinte
Sorgfältig nachzeichnen
Welcher Teil von ihnen
Am liebsten solle verschwinden

Du willst sie
Alle einmal fragen
Wer war die erste Person
Die euch gesagt hat
Euch gehört
Nicht der Raum
Den ihr braucht
Ihr müsst klein
Und unscheinbar sein
Nur so passt ihr hinein
Nur so
Kann man euch ertragen
Mehr will die Welt
Von euch nicht haben

Wer hat gesagt
Dass ihr akzeptieren müsst
Dass es einfach wäre
Euch zu definieren
Mit einem Blick
Einer Zahl
Zu deklarieren
Ihr mehr als Euch selber
Macht zu geben
Über euren Wert
Euer Leben?
Seit wann sind
Unsere Körper
Das Problem
Und nicht
Wie uns beigebracht wurde
Damit umzugehen?

Also stehst du
Vor diesem lächerlich klischeehaften Spiegel
Und die Spuren jedes einzelnen
Tages blicken dir entgegen
Es ist nicht einfach
In deiner Reflektion
Nicht nach Fehlern zu suchen
Aber du denkst daran
Wie deine Freunde dir backen Kuchen
Einfach weil sie froh sind
Dass es dich gibt
Und Fremde im Internet
Schreiben dir es wäre tröstlich
Dass du zeigst auch
Ihre Realität ist möglich
Und Deine Mutter
Hält dein Gesicht
In ihren Händen
Wünscht sich kein Moment mit dir
Würde jemals enden

Denn all das
Bei dem dir beigebracht wurde
Dich für zu schämen
Ist all das
Womit dich andere Menschen lieben
Und wenn du sie anguckst
Würdest du niemals denken
Es sollte weniger
Von ihnen geben

Photcredit: Phil Dera für DIE ZEIT

Huda El Haj Said

Eines Tages beschloss Huda, mit ihrem Typ-1-Diabetes genauso umzugehen, wie sie es auch mit dem Rest ihres Lebens tut: indem sie darüber schreibt.

Seitdem verfasst sie Geschichten und Gedichte über ihre Diabetes-Erfahrungen (und ergreifenden Gefühlswelten) und teilt sie mit der Community.

https://www.instagram.com/worteausglas/

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