Die Diabetes-Community als Ergänzung zur klassischen Diabetes-Therapie

Als ich vor fast 30 Jahren als Baby Diabetes bekam, gab es keine „Diabetes Community . Damals, so berichteten mir meine Eltern, gab es Selbsthilfegruppen und Elterntreffs. Ein paar Camps für Kinder und Jugendliche mit Diabetes gab es, richtig attraktiv erschien der Austausch über Diabetes für mich aber lange nicht. Attraktiv schien auch der Austausch mit Diabetolog:innen und Diabetesberater:innen auch nicht immer, häufig war er einfach nur zweckgebunden (Rezepte, DMP, usw.). Trotz Zufriedenheit mit meinen Glucosewerten und immer wieder bemühten Diabetes-Teams in diversen besuchten Praxen, fehlte mir in meiner Diabetes-Therapie doch immer etwas. 

„Ich akzeptierte, dass ich alleine war.“

Lange wusste ich nicht, was mir fehlte. Als Kind und Jugendliche habe ich vermutlich nicht einmal realisiert, dass mir etwas fehlte. Ich normalisierte total, dass ich stets eine Leere spürte, wenn alle 6 Wochen mein Termin in der örtlichen Kinder-Diabetes-Ambulanz anstand. Selbst als Erwachsene machte sich häufig ein Gefühl des Verlorenseins in mir breit, wenn ich wieder einmal mit unbeantworteten Fragen und ohne Lösung zu meinen Diabetes-Herausforderungen eine Praxis verließ. Lange akzeptierte ich, dass ich vermeintlich alleine mit diesen Herausforderungen war.  

Über die Blood Sugar Lounge, damals noch vom Kirchheim Verlag, fand ich in die Diabetes-Community. Auf der Suche nach einer Lösung, ohne Unterzuckerungen Ausdauersport zu treiben, saß ich Quartal für Quartal wieder verzweifelt bei meiner damaligen Diabetologin. Ihr Rat beschränkte sich auf das Essen von ausreichend Sport-Kohlenhydraten. Bei mir waren das zu der Zeit rund 60-70g Kohlenhydrate vor dem Laufen gehen und dennoch konnte ich nicht länger als 30-40 Minuten laufen gehen, ohne wegen einer Unterzuckerung abbrechen zu müssen. 

Ohne inhaltlich zu viel auf die Lösung einzugehen: Über den Einflussfaktor aktives Insulin gegenüber meiner Sport-Kohlenhydrate, Vor- und Nachteile der ICT gegenüber einer Pumpentherapie beim Ausdauersport sowie aerobe und anaerobe Trainingsbereiche sprachen wir nie. Darüber fand ich Informationen in der Diabetes-Community.  

Kein Grund (mehr), kampflos aufzugeben 

War meine sogenannte Lösung vorher gewesen, dass ich es einfach akzeptieren müsse, keinen Ausdauersport treiben zu können, so ermutigte mich meine Recherche in der Blood Sugar Lounge und auf diversen Blogs von Menschen mit Diabetes auf einmal, dass ich nicht kampflos aufgeben musste. Zum ersten Mal kam ich mit Themen wie Loopen oder temporären Basalraten in Kontakt. Ich las über das Diabetes Burn-out und fand endlich so viel Verständnis für Gefühle, die ich mein Leben lang immer wieder erlebte, aber nie richtig deuten konnte. 

Auf einmal setzte ich mich mit der Pflege meiner Spritzstellen auseinander und suchte nach Input für das berühmt-berüchtigte „Pizza-Problem“ (also viel Fett, viele Kohlenhydrate und keine Ahnung wie viel Bolusinsulin ich dafür brauchte). Ganz zu schweigen von Anwendungsberichten verschiedener Diabetes-Technik; Insulinpumpen, CGMs, neuartige Insulinpens…  

Selbstwirksamkeit in der Diabetes-Therapie 

In die Diabetes-Community einzutauchen hat mir Selbstwirksamkeit gegeben. Diese Selbstwirksamkeit habe ich leider sehr lange in Bezug auf meinen Diabetes nicht gespürt. Es ging um Themen, die im direkten Austausch zwischen Menschen mit Diabetes so viel einfacher zu besprechen waren. Es ging um Themen, die wenige nachvollziehen können, wenn sie nicht 24/7 mit Diabetes leben müssen. Ganz viele der Denkanstöße, die ich auf einmal fand, stehen in keinem medizinischen Lehrbuch. Das müssen sie auch gar nicht, denn sie sind viel zu komplex, als dass man sie alle 6-12 Wochen in 15-20 Minuten mit einem Arzt oder einer Ärztin besprechen kann. Und da kommt dann eben die Lebenserfahrung der Diabetes-Community ins Spiel.

Quelle: Sara Brandt

Auch die Besuche in der Diabetespraxis haben sich durch meine Zugehörigkeit in der Diabetes-Community verändert. Nicht zuletzt hat es mich motiviert, mir eine Diabetes-Praxis zu suchen, in der ich als das wahrgenommen werde, was ich bin: Ein Mensch und keine Nummer. In erster Linie merkte ich, dass es nicht mein Fehler war, wenn der Schulbuchansatz einiger Ärzte bei mir nicht funktioniert. Ich kommunizierte meine Bedürfnisse bei den Besuchen meiner Praxis klarer, weil ich aus der Diabetes-Community wusste, dass es in Ordnung ist. Überhaupt Bedürfnisse in Bezug auf die Diabetestherapie abseits davon, zu überleben, zu haben, ist völlig normal.  

Quelle: Sara Brandt

Ich möchte weder meine regelmäßigen Besuche bei meiner Diabetologin und meinem Diabetesberater missen, noch den regelmäßigen Austausch mit der Diabetes-Community. Beides hat in meinem Leben einen hohen Stellenwert und ermöglicht mir, mich so um meinen Diabetes zu kümmern, dass er bestmöglich in meinem Leben Platz findet. Sie ergänzen sich, schließen sich nicht aus. 

Die Diabetes-Community als Ergänzung zur klassischen Diabetes-Therapie 

So sehe ich die Diabetes-Community als Ergänzung zur klassischen Diabetes-Therapie. Keinesfalls ist es für mich ein Ersatz. Aktives Mitglied der Diabetes-Community zu sein bedeutet für mich anzuerkennen, dass ich nicht von einer Person erwarte, mein komplexes Leben mit Diabetes zu verstehen oder gar mir zu helfen, wenn ich Hilfe brauche. Für mich übersteigt das auch die Kompetenz von medizinischem Personal: Wie beängstigend mag es sein, sich allein verantwortlich für das Wohlbefinden hunderter, tausender Menschen in der Praxis zu fühlen? Vielmehr ist es für mich das Bewusstsein, dass Unterstützung für uns alle unterschiedlich aussieht. Irgendwo zwischen den regelmäßigen Terminen in der Diabetespraxis und dem Austausch mit anderen Menschen mit Diabetes liegt für mich so für fast jede Herausforderung eine Antwort. Mal gibt es diese Antwort in der Community, und mal gibt es sie in der Praxis.  

Sara Brandt

Sara ist seit 2023 eine #dedoc° voice und trägt durch ihre Beiträge in sozialen Medien und ihre Gesprächen zum Bewusstein und zur Aufklärung über das Leben mit Diabetes bei.

https://www.instagram.com/saritaviajera
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